Die Wiege von Dynamo Dresden stand in Forst

Dresden, 16. April 1950. Im Heinz-Steyer-Stadion fiebern mehr als 50.000 Zuschauer dem Finalspiel um die erste Ostzonen-Meisterschaft entgegen. In Dresdens größtem Stadion stehen sich am letzten Spieltag der Saison 1949/50 der Tabellenführer SG Dresden-Friedrichstadt (u.a. mit dem späteren Bundestrainer Helmut Schön) und die punktgleiche Mannschaft von ZSG Horch Zwickau gegenüber.Nach indiskutablen Schiedsrichterentscheidungen und in Unterzahl verlieren die Dresdner mit 1:5. Vor den Augen von SED-Parteichef Walter Ulbricht und Sachsens Ministerpräsident Max Seydewitz kommt es zum Spielende zu tumultartigen Szenen und einem Platzsturm durch die aufgebrachten Dresdner Fans.

Die bei den Machthabern ungeliebte „bürgerliche“ SG Friedrichstadt wird auf Grund der Vorfälle nur wenige Tage später auf Anweisung von ganz Oben aufgelöst. Fast die gesamte Mannschaft flieht daraufhin nach Westberlin. Dresden steht plötzlich ohne Oberligamannschaft da. Um den aufkeimenden Volkszorn einzudämmen, suchen die Funktionäre rasch nach einer neuen Lösung.
Der Chef der Deutschen Volkspolizei, Kurt Fischer, erlässt am 20. Juni 1950 den Befehl, eine landesweit operierende Sportvereinigung der Volkspolizei zu gründen. Weiter soll bis zum 1. Juli 1950 „…eine leistungsfähige Fußballmannschaft der Volkspolizei … in Dresden durch Zusammenziehung der besten Fußballspieler der Deutschen Volkspolizei“ geschaffen werden. Seit 1948 gibt es in der Ost-Zone sowie später in der noch jungen DDR überall VP-Mannschaften.

Im kleinen brandenburgischen Städtchen Forst (Lausitz) ist in den beschädigten Räumen des hiesigen Gymnasiums die Polizeischule des Landes Brandenburgs untergebracht. Hier ziehen Cheftrainer Fritz Sack (Weimar) und Paul Döring (einst bei Guts Muts Dresden) die 40 besten fußballspielenden Polizisten der Republik zusammen. In einem sechswöchigen Trainingslager werden diejenigen Spieler ausgewählt, die die bis dahin in der Dresdner Stadtliga spielende SG Deutsche Volkspolizei Dresden zukünftig verstärken und ab der Saison 1950/51 in die DDR-Oberliga delegiert werden sollen. Vor allem Leistungsträger der SG Volkspolizei Potsdam wurden in die neue Mannschaft integriert.

Das Gymnasium mit dem Stadion im Vordergrund

Am 1. August bestreitet die neu formierte Mannschaft der SG Volkspolizei Dresden im Forster Stadion das allererste Spiel. Gegner ist „Einigkeit“ Forst. Die Staatsdiener in kurzen Hosen gewinnen gegen die Heimmannschaft mit 4:1.

Einen Monat später, am 2. September 1950, bestreitet die SG Volkspolizei Dresden in Stendal ihr erstes Oberliga-Spiel. Das erste Heimspiel findet, diesmal vor nur 15.000 Zuschauern, wieder im Steyer-Stadion statt. Gegen Aktivist Brieske-Ost verlieren die Dresdner 1:2. Zum Saisonende 1951 steht Platz 4 zu Buche.

Am 12. April 1953, wenige Tage nach der Gründung der zentralen Sportvereinigung Dynamo (Sportorganisation der inneren Sicherheitsorgane der DDR wie Polizei, MfS, Zoll) wurde im Dresdner Filmtheater „Schauburg“ in einer so genannten Gründungsversammlung die SG Volkspolizei Dresden in SG Dynamo Dresden umbenannt. Dieses Datum gilt seitdem als offizielles Gründungsdatum des Vereins. Im gleichen Jahr holte Dynamo den ersten von insgesamt 8 DDR-Meistertiteln.

Dynamo Dresden hat sich in der deutschen Fußball-Landschaft seinen Platz gesichert, spielte international, holte Titel und brachte immer wieder Nationalspieler hervor. Namen wie Hans-Jürgen „Dixie“ Dörner, Reinhard Häfner, Ulf Kirsten oder Matthias Sammer sind untrennbar mit Dynamo verbunden. Auf die Treue und Leidensfähigkeit der Dynamo-Fans schauen viele Vereine neidisch. In der Beliebtheitsskala zu DDR-Zeiten stand der Verein ganz oben. Noch immer besitzt der derzeitige Zweitligist Kultstatus.

Aus dem ersten Gegner „Einigkeit“ Forst wurde später die BSG Fortschritt Forst, dessen Nachfolger TV 1861 wiederum dümpelt derzeit in den Niederungen des Fußballs herum.

Auch wenn Dynamo Dresden offiziell erst 1953 die große Fußballbühne betrat, beginnt für viele Fans und Chronisten die Dynamo-Zeitrechnung jedoch schon mit jenem Spiel in Forst drei Jahre zuvor. Vor 70 Jahren also schlug hier in der brandenburgischen Lausitz die Geburtsstunde für den berühmtesten Fußballverein aus der sächsischen Hauptstadt.

Interessanter Fakt am Rande

Der erwähnte Max Seydewitz, der als sächsischer Ministerpräsident jenes Final-Spiel 1950 sah, welches Auslöser für die geschilderten Ereignisse war, wurde 1892 in Forst geboren und ist heute Ehrenbürger der Stadt Forst (Lausitz).

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